Im hinter uns liegenden Wahlkampf wurde wieder die „Familie“ entdeckt. Es macht sich gut, dem politischen Gegner vorzuwerfen, er habe davon keine Ahnung - erst recht nicht ohne eigene Kinder.
Die Familie ist nach wie vor ein Wert und kein Auslaufmodell. Sie ist Teil unserer Kultur. Aber sie verändert sich auch mit ihr. Ist unser Verständnis von Familie noch situationsgerecht, noch zeitgerecht? Gibt es eine unwandelbare, verbindliche Beschreibung von Familie? Es gibt sicher ethisch begründete Leitbilder, an denen wir uns orientieren. Aber auch Leitbilder sind situationsbezogen.
Das Familienbild hat sich gewandelt. Erziehung findet zum großen Teil in Kindergärten und Schulen statt. Alte und kranke Menschen werden aus Familien ausgegliedert in Krankenhäuser oder Pflegeheime. Geändert hat sich das Rollenverständnis von Mann und Frau. Die Frau ist erwerbstätig nicht nur aus wirtschaftlichem Zwang, sondern weil sie damit ihre Eigenständigkeit, die Entfaltung persönlicher Fähigkeiten und ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausdrücken will. Auch der Mann muss seine Rolle innerhalb der Familie und im Erziehungsprozess neu definieren.
Viele Paare leben als „Lebensgefährten“ unverheiratet zusammen und empfinden ihre Gemeinschaft wie eine "Ehe" bzw. wie eine „Familie“. Es wird gesellschaftlich toleriert oder akzeptiert, wenn Sexualität nicht oder nicht mehr auf die Ehe allein beschränkt ist.
Auch viele Christen praktizieren andere Formen des Zusammenlebens. „Die Familien und die vielen gemeinschaftlichen Lebensformen geben Rückhalt. Sie bewirken sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Verschiedene gemeinschaftliche Lebensformen wie kinderlose Ehen, nichteheliche Lebensgemeinschaften, gleich-geschlechtliche Partnerschaften, Wohngemeinschaften bewirken gegenseitige Annahme, Geborgenheit und Verantwortlichkeit.“ Das steht in einer Dokumentation des Bistumstages 2001 im Bistum Aachen. Im Vorwort dazu schreibt der Aachener Bischof: „Wer nur zurückschaut auf das, was gestern war und ihm gut gefallen hat, der hat keine Zukunft und lebt nicht in der Gegenwart.“ Die Frage ist nur, ob und inwieweit unsere Kirche bereit ist, das auch in aktiver Toleranz oder gar Förderung umzusetzen.
Wir sollten aufhören, uns gegenseitig vorzuwerfen, wir hätten nicht das „richtige“ Familienbild. Der Frau eines deutschen Politikers wird niemand vorwerfen, dass es für ihren jetzigen Mann bereits die vierte Ehe und Familie ist. Und dass eine andere Politikerin eine geschiedene Ehe hinter sich hat und auch in ihrer jetzigen Ehe ohne Kinder ist, wird sie nicht daran hindern, ihre Beziehung als „Familie“ zu betrachten. Der „Päpstliche Rat für die Familie“ befasste sich im Jahr 2000 in einem Dokument mit dem Thema „Ehe, Familie und faktische Lebensgemeinschaften“. Er stellte fest: „Die steigende Zahl faktischer Lebensgemeinschaften und die daraus folgende Abneigung gegen die Ehe sind ein in der ganzen Gesellschaft weit verbreitetes Phänomen, das die christliche Gemeinschaft eindringlich im Gewissen anspricht. Die Kirche hat die Zeichen der Zeit erkannt und kommt daher nicht umhin, sich mit dieser Frage zu befassen.“ Nach dieser ermutigenden Einführung folgte jedoch sofort die Rolle rückwärts. Der Rat „möchte auf die Gefahren dieser Gemeinschaften für die Identität der ehelichen Verbindung sowie auf den dadurch entstehenden großen Schaden für die Familie und für das Gemeinwohl aufmerksam machen.“
„Faktische Lebensgemeinschaften“ also doch keine Familie?
Wann ist Familie, liebe Kirche?
Wann ist Familie, lieber Leser?
|