„Glückliche Schuld, die einen solchen und derart großen Erlöser verdient hat!“ („O felix culpa, quae talem et tantum meruit habere redemptorem“) (aus der Liturgie des Karsamstags)
Das Sieger-Pathos des echt römischen Osterliedes „Exsultet“ geriet für mich in ein neues Licht durch den Film „Die Passion Christi“ von Mel-Gibson. Es hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass das Jubeln der römischen Liturgie über die „glückliche Schuld“ (felix culpa) geeignet ist, eine schreckliche Seite des real existierenden Christentums vor unseren Blicken zu verdecken, die nun Jahrhunderte lang nicht beachtet, vielleicht aber auch bewusst verschwiegen oder gar verdrängt wurde. Dieser Film gibt uns Anlass zum Nachdenken über das Verhältnis des Christentums zur Gewalt. Der christliche Mythos vom erlösenden Opfertod Christi erhebt nicht nur die Opferrolle zu göttlicher Würde, er gibt gleichzeitig den Grausamkeiten und den Gewalttätern selbst eine numinose Qualität. Es ist ja „Gottvater“ selbst, der „seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns hingegeben“ hat (Röm 8,32-34) – und zwar genau zu dieser grandiosen sado-masochistischen „Heilsveranstaltung“. Die Täter des Verbrechens – vom Hohenpriester Kajaphas bis zum letzten Henkersknecht – waren nur seine Werkzeuge. Durch diesen Konstrukt des Paulus, den die Kirche unreflektiert als „göttliche Offenbarung“ übernommen hat, wird den Christen einerseits die masochistische Spiritualität einer „Leidensfrömmigkeit“ als Weg der Vollkommenheit nahegelegt, andererseits die Gewaltanwendung als ein selbstverständliches, weil durch Gottes Handeln geheiligtes Mittel der Problemlösung empfohlen! Was sollen wir von einer solchen „Offenbarung“ halten? Der Zusammenhang, in dem dieser schwer wiegende Satz im Römerbrief des Paulus steht, verrät viel von dem unbewussten psychologischen Hintergrund seines Denkmodells der Erlösung:
Zu wessen „Heil“ wurde denn diese entsetzliche Tötung veranstaltet? Natürlich „für uns“ – so steht es ausdrücklich da; und ich möchte hinzufügen: „Für uns, Täter“! Wir sind es ja, die von dieser Grausamkeit profitieren und unseren „Vorteil“ auch bejahen. Genau in diesem Sinn verrät nämlich Paulus hier den Zielpunkt seiner Gedankenführung: „Wie sollte er (dieser Gott) uns mit ihm (dem zum Quälen und Schlachten „hingegebenen“ Opfer) nicht alles schenken? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Wer kann sie verurteilen?“ Diese Worte verraten klar, was dem Paulus (und mit ihm den Christen) die von ihm dargestellte Heilsveranstaltung eingebracht hat, nämlich ihre eigene Amnestie: Sie dürfen jetzt ihre Schuldgefühle verdrängen, denn niemand kann sie mehr anklagen und verurteilen. Sie können nun tun, was sie wollen, denn sie sind die Auserwählten dieses Willkürgottes, während die „Anderen“, die „Gefäße des Zornes“, an denen „Gott seinen Zorn zeigen und seine Macht erweisen wollte“, „zur Vernichtung bestimmt sind“ (Röm 9,22). Und wenn Gott selber die Bösen so behandelt, können sich Christen aller Zeiten beruhigt mit ihrem Gott identifizieren: im Bewusstsein ihrer Auserwähltheit können und dürfen auch sie hassen und morden (natürlich nur die „Feinde Gottes“) und es ruhig vergessen.
Ein solches Bewusstsein des Auserwähltseins scheint der unbewusste Hintergrund der nicht enden wollenden Grausamkeiten zu sein, die Christen im Laufe ihrer langen Geschichte mit Berufung auf ihren Glauben gedankenlos oder sogar mit gutem Gewissen verübt haben, die ich jetzt nicht aufzuzählen brauche. Nur ein kennzeichnendes Beispiel möchte ich hier erwähnen, die Massaker der Kreuzzüge, die sie unter dem Motto „Gott will es“ unternommen haben. Vergessen war die „frohe Botschaft“ Jesu vom unterschiedslos alle Menschen liebenden „Vater“, denn ein Gott, dessen verletzte Ehre einmal die Kreuzigung Jesu, also ein Gewaltverbrechen gefordert hat, konnte natürlich auch nicht dulden, dass „sein Grab“ in der Hand der „Ungläubigen“ war. Ein solcher Gott konnte freilich die Attacken der späteren Aufklärung nicht unbeschadet überstehen. Er bekam zu Recht sein Grab (seit Nietzsche) im 20. Jahrhundert, auch wenn die Verkündung des „Todes Gottes“ viele Christen schockiert hat.
Man sage nicht, dass ich hier etwas völlig Fremdes in die Aussagen des Römerbriefes hineingedeutet habe! Was sagt denn die christliche Glaubenslehre selbst darüber, wozu Christus auferstanden ist? Bekanntlich um wiederzukommen und sich in einem Gericht an seinen Feinden zu rächen, die nach seinem demonstrativen Triumph schließlich im ewigen Feuer gefoltert werden. Das ist nicht nur der Glaube des finsteren Mittelalters oder eine Aussage der schwer deutbaren Apokalypse des Johannes, sondern es ist sogar Jesus selbst untergeschoben worden, wo er (im Lukasevangelium) in einem Gleichnis den „König“ sagen lässt: „Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt sie her, und macht sie vor meinen Augen nieder!“ (Lk 19,27).
Kann man im Gottesbild der bekannten Erlösungslehre noch den „Vater“ Jesu wieder erkennen, der „seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten“, der „dem Verlorenen nachgeht, bis er es findet“ (Mt 5,45; Lk 15,4)? Wie konnten die christlichen „Lehrer“ in diesem Ausmaß vergessen, was Jesus, den sie als „wahren Gott vom wahren Gott“ bekennen, selbst über Gott gesagt hat? Vielleicht haben sie es auch nie richtig verstanden. Die Menschen, die Jesus schon zu seinen Lebzeiten nicht verstanden haben, konnten sich zwar seine Jünger nennen, aber auch „nach Ostern“ waren sie nicht imstande zu merken, in welchen Punkten ihre Vorstellungen mit dem Geist ihres früheren Meisters unvereinbar waren. Sie sind dann leider – mit ihrem „apostolischen Glauben“ – maßgeblich geworden für das christliche Denken, in dem seither „unfehlbar“ ihre jesuswidrigen Vorstellungen herrschen.
Kann man den Christen noch irgendwelche Grausamkeiten übel nehmen, wenn ihnen in ihren „apostolischen“ Schriften (als Wort Gottes!) das leuchtende Beispiel eines „Gottmenschen“ vorgesetzt wurde, der nach seinem Leiden „am letzten Tag“ endlich als Sieger seine Aggression ausleben soll? Das Christentum scheint in der Tat zur gewalttätigsten Religion der Menschheit geworden zu sein, was aber mit Sicherheit gegen die Absichten Jesu geschah. Die Christen haben zwar auch seine echte und gewaltlose „gute Nachricht“ überliefert, aber sie derart unter dem Schutt ihrer eigenen „gewichtigen“ Lehren vergraben, dass sie dort eher als fromme Übertreibung eines liebenswürdigen Predigers erscheint, die in diesem Punkt wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist.
Die „gute Nachricht“ Jesu aber – zusammen mit manchen Ideen der griechischen Antike und der besten (religions- und gesellschaftskritischen) Tradition der Propheten – entwickelte sich zu den heutigen Leitbildern der Menschenrechte, der Gewaltfreiheit und einer die Völker und Rassen übergreifenden Solidarität, die in unserer Zeit endlich beginnen, das Denken der Menschheit langsam umzuformen. Es ist ein Trauerspiel, dass diese befreiende Weiterentwicklung der Lehre Jesu nicht den christlichen Kirchen zu verdanken ist, sondern gegen sie – durch die von ihnen sogar als „gottlos“ verunglimpfte Aufklärung – durchgesetzt werden musste.
Können die Christen diese weltweite Entwicklung noch einholen, wo sie sich im Bewusstsein ihres einzig wahren Glaubens gegen die Idee jeglichen Fortschritts so gründlich immunisiert haben? Werden die Kirchen ihre wichtige Rolle für die geistige Entwicklung der Menschheit in der Zukunft noch behaupten können? Es entscheidet sich daran, ob sie imstande sein werden, die echte „gute Nachricht“ Jesu wirklich zu verstehen, zu ihr zu stehen und sie zum Zentrum ihres Glaubens zu machen. Diese „gute Nachricht“ wird dann – einmal im Zentrum des Glaubens – manche „Wahrheiten“ der so genannten apostolischen Tradition, die nur die ewige Geltung des von Jesus überholten Paradigmas der Gewalt fortschreiben, gewiss gründlich relativieren. ( Peter Sardy, Ostern 2004 )
|