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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Vaterunser  ›  „Wenn ihr betet...“ Moderatoren: Weber
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„Wenn ihr betet...“  Dieses Thema wurde bisher 7.472 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Sardy
16 Juli 2006, 16:04 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
26 - 50 Beiträge
Beiträge: 30
„Wenn ihr betet...“  -  Ein alter Text kann überraschen

Man hält es heute nicht für selbstverständlich, dass ein Mensch betet. Trotzdem werde ich hier keine Werbung dafür betreiben, sondern begnüge mich damit, den Weg zu einem alten Text durch schlichte Information freizumachen. Als angemessene Haltung zum Lesen meiner Überlegungen empfehle ich, ihnen unbefangen gegenüberzutreten, um durch Nachdenken und sich Einfühlen selber zu erfahren, ob sie uns ansprechen können.

Meine Überzeugung ist, dass ein Gebet kaum etwas nützen kann, wenn es nicht aus dem Betenden selber kommt! - Trotzdem ist es sehr wichtig, das Beten von erfahrenen Menschen zu lernen, bis auch wir erfahren, was uns wirklich entspricht, bis auch unsere innerste Stimme erwacht. Das Gebet will gelernt und dann auch eingeübt werden. Ein erfahrener Mensch, von dem wir es lernen können, war Jeschua, der Sohn der Maria. Ich nenne ihn hier so, wie er in seiner Heimat genannt wurde. Damit will ich betonen, dass er ein wirklicher Mensch war, der dazu noch vor 2000 Jahren und in einer uns fremden Kultur aufgewachsen war. Deshalb ist wohl einige Mühe notwendig, wenn wir seine knappen überlieferten Worte in unserer Situation richtig verstehen wollen.

Lohnt sich denn diese Mühe? - Wir werden es nur erfahren, wenn wir uns erst einmal auf diesen Jesus - wie ihn die Welt heute nennt - einlassen. Seine Umgebung hat ihn als einen faszinierenden Menschen erlebt. Sein Auftreten sprach für eine einmalige Gotteserfahrung und für ein einmaliges Gottesverhältnis. Er hat damals das Vertrauen vieler Menschen gewonnen und ihnen einen neuen Zugang zum Leben eröffnet. Auf das Zeugnis dieser Menschen muss sich verlassen, wer von der Gotteserfahrung Jesu lernen will.

Beim Lernen dürfen wir freilich nicht vergessen, was ein solches Lernen eigentlich bedeutet. Es ist ein Lernen von jemandem, dessen Gedankenwelt und Sprache nicht einfach die unseren sind. Hier begegnen wir einem zunächst fremden Menschen, der in seiner Sprache das Einmalige ausspricht, das er erfahren hat. Seinen Fund müssen wir uns erst aneignen. Am Anfang stehen wir also vor etwas Fremdem, in dem wir am Ende (wenn wir das Glück haben) unser Eigenstes wieder erkennen werden.

Dabei ist es notwendig, ganz ehrlich mit uns zu sein, - das heißt uns nicht von schönen Gedanken blenden zu lassen. Es ist notwendig nicht nur das Neue, das wir hören, ganz ernst zu nehmen, sondern auch die ganze Welt um uns herum, wie sie eben ist und auch alle unsere Erfahrungen! Und wir brauchen auf jeden Fall auch den Mut, das Gehörte durch persönlichen Einsatz zu prüfen. Nur so sind wir in der richtigen Verfassung Jeschua zu verstehen, der auch bereit war die Welt ernst zu nehmen, wie sie war, und gleichzeitig den Mut hatte, auch Gott ganz ernst zu nehmen, wie er sich ihm gezeigt hatte! Nur wer sich müht, so offen zu sein wie er, kann ihm auf seinem Weg folgen.

Eine solche Begegnung und Prüfung braucht natürlich ihre Zeit. Deshalb sollte man die folgenden Überlegungen nicht wie einen Roman durchlesen. Schnell gelesen könnte der eine oder andere Punkt interessant erscheinen, aber in kürzester Zeit wäre alles vergessen. Einen Nutzen bringen sie erst, wenn sie sich in der Seele setzen können. Sie möchten also - abschnittsweise - Gegenstand des ruhigen Nachdenkens bzw. einer Meditation sein. Sobald man etwas gefunden hat, was einen anspricht, braucht man nicht schnell noch weiter zu lesen. Auf diese Weise könnte man z. B. vor einem einsamen Spaziergang, vor einer Übung der Ruhe etwa durch das autogene Training oder vor dem Schlafengehen einen mehr oder weniger kurzen Abschnitt lesen und sich dann Zeit lassen. Und beim Nachdenken sollte man das Gelesene möglichst konkret mit allen Erfahrungen vergleichen, die man selber bereits mit seinem Glauben oder Unglauben gemacht hat. Und ebenso konkret sollte man nach etwaigen Folgerungen fragen - und was sie mit dem eigenen Leben zu tun haben.

Das Ziel dieser Betrachtungen ist also, die spirituelle Ausrichtung Jesu kennen zu lernen. - Seine knappen Worte werden wir natürlich erst richtig verstehen, wenn wir konsequent nach seiner Lehre und nach seiner Einstellung fragen. Dabei können wir manches Überraschende erfahren, denn die Gedanken Jesu wurden im Laufe der Jahrhunderte von menschlichen Gedanken wohlmeinender Nachfolger überdeckt. Deshalb werden wir nicht den ausgetretenen Pfaden einer kirchlichen Verkündigung folgen. Deshalb werden hier sogar Ansichten vertreten, die mit manchen gewohnten christlichen Lehren unvereinbar sind. Wer dabei widersprechen möchte, soll wenigstens aufmerksam werden, dass in diesen Punkten ein Bedarf nach weiterem Nachdenken besteht. Denn nur der Einklang mit dem wirklichen Jesus bietet die Gewähr, dass wir auf seinem Weg sind.

Der Weg Jesu kennt allerdings keinen Stillstand der Zeit. Sein Geist verpflichtet heute niemanden zu zögern, auch solche Gedanken auszusprechen, die ein jüdischer Prophet im 1. Jahrhundert noch nicht denken konnte. Im Gegenteil! Seine Worte richtig verstehen heißt, heute seine Gedanken weiter zu denken, sie sozusagen in die geistige Welt unserer Zeit hinein wachsen zu lassen. Wenn sie dabei eine neue Gestalt annehmen, bleibt einzig wesentlich, ob sie seinem Anliegen entsprechen. Dieses Anliegen richtig zu verstehen bleibt eine Aufgabe, die den Einsatz lohnt, auch wenn unsere Antworten keineswegs endgültig und "unfehlbar richtig" sein können.

Sie haben vielleicht schon die Meinung gehört, das Vaterunser sei eine Zusammenfassung der Spiritualität Jesu und damit sozusagen seine Visitenkarte. Das stimmt auch, aber mit der kleinen Einschränkung, dass wir seine Worte nicht im Original besitzen. Tatsache ist nämlich, dass uns kein direktes Zeugnis zum wirklichen Jesus führt. Die heute bekannten Evangelien sind erst rund 50 Jahre nach seinem kurzen öffentlichen Auftreten entstanden. Wir schätzen zwar das Gedächtnis seiner Zuhörer, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir nur Überlieferungen christlicher Gemeinden in der Hand haben, die durch jahrzehntelange Glaubenserfahrungen eben dieser Gemeinden „gefiltert“! sind. Unsere älteste schriftliche Quelle, das Evangelium nach Markus, kennt das Vaterunser nicht, - es wurde also in seiner Traditionslinie nicht als Zusammenfassung der Lehre Jesu betont. Matthäus und Lukas haben dieses Gebet aus einer gemeinsamen Quelle übernommen, aber ihre Texte (Mt 6,9-13; Lk 11,1-4) stimmen nur teilweise überein. Aus ihnen kann man heute - in unserer Sprache - etwa folgende Rekonstruktion gewinnen:

Vater, dein Name werde in Ehren gehalten, dein Reich breche an.
Gib uns jeden Tag an Nahrung, was wir brauchen.
Vergib unsere Verfehlungen, denn wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist.
Und stelle uns nicht auf die Probe.
(Das verlorene Evangelium. Was Jesus wirklich sagte. Hrsg. v. Mark Powelson u. Ray Riegert. München, DTV 1997)

Ein anderer Versuch, die Rückübersetzung ins Aramäische, der Sprache Jesu, ergab folgenden rhythmisch-poetischen Text:

Vater,
deine Gegenwart werde geheiligt,
dein Königtum breite sich aus,
dein Wille geschehe,
lass geben uns unser Brot,
und lass vergeben uns unsere Sünden,
und lass retten uns aus unserer Versuchung.
(Günther Schwarz /Jörn Schwarz, Das Jesus Evangelium. München, Ukkam-Verl. 1993)

Ich werde in dieser Erklärung dem weltweit verwendeten und etwas längeren Gebet aus dem Matthäusevangelium folgen, werde aber auf vermutete spätere Erweiterungen hinweisen und sie im Geiste Jesu deuten.
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