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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Vaterunser  ›  „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ Moderatoren: Weber
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„Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“  Dieses Thema wurde bisher 2.938 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Sardy
16 Juli 2006, 16:12 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
26 - 50 Beiträge
Beiträge: 30

„Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“  -  Das rettende Mitgefühl

Mit diesen Worten zeigt der Betende, dass er die Bitte um Vergebung ernst gemeint hat. Von diesen Worten fällt aber auch ein überraschend neues Licht sowohl auf die eigene Schuld wie auf die Überwindung der Schuld und ihrer Folgen.

Wem und was sollen wir vergeben?

Haben wir schon wirklich überlegt, was wir hier sagen? Es wäre zu schade, wenn diese Worte in der Unverbindlichkeit des Allgemeinen versanden würden! – Wem so schnell nicht einfällt, was er hier alles zu vergeben hat, könnte die Frage nach der Schuld der anderen umdrehen und fragen, was ihn selber verletzt, was ihm geschadet, wo er sein „gutes Recht“ nicht bekommen hat, wo seine „Grenzen“ nicht beachtet wurden.

Ich möchte hier keinen „umgekehrten Beichtspiegel“ aufstellen, bin aber überzeugt, dass die Reihe der „Schuldigen“ meistens mit den Menschen anfängt, die uns am nächsten stehen, also mit Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Partner bzw. Partnerin. Und die Reihe der Verletzungen reicht  in die früheste Kindheit zurück, zu Geschehnissen, die heute sogar vergessen sein mögen, aber immer noch unsere Gefühle und unser Verhalten beherrschen. Es wäre ja verwunderlich, wenn Menschen, von denen wir so viel erwarten (und erhalten!), uns immer alles bieten könnten, was wir für uns nur beanspruchen! Das von den Nächststehenden Erlittene schmerzt uns am meisten und lässt auch die tiefsten Wunden zurück. Wenn solche Verletzungen nicht wirklich vergeben werden, müssen wir ihre Last unversöhnt weiter tragen!

Bei dieser Art Umschau und Rückschau werden wir noch etwas Wichtiges entdecken: Es ist durchaus möglich, dass wir uns in manchem zurückgesetzt oder verletzt fühlten, obwohl der Andere nichts Böses wollte und die Verletzung vielleicht nicht einmal gemerkt hat. Für uns kommt es also gar nicht darauf an, ob der Andere nun ein „Sünder“ ist oder nicht! Wir brauchen unbedingt die Vergebung, die Versöhnung, damit wir „heil“, d. h. seelisch gesund, weiter leben können. Dazu führt nur ein Weg: Wir müssen wirklich und alles vergeben, was uns irgendwie erbittert hat. Ob der andere dabei „objektiv“ schuldig wurde, kann für uns ruhig dahingestellt bleiben, denn darüber auch nur nachzudenken würde unsere Versöhnung mit Gott stören.

Damit diese Versöhnung möglich wird, ist es gut, noch einen Schritt weiter zu gehen. Es kann viel nützen, die Frage zuzulassen, ob wir nicht sogar selber Anteil an der Schuld eines Mitmenschen haben, dem wir zu vergeben hier beteuern. Normalerweise sind ja an einem Vorfall oder Interaktion mindestens zwei Menschen beteiligt. Es ist hier kein Raum, über psychische Mechanismen zu reden, die dabei eine Rolle spielen können. Es genügt, nur zu erwähnen, dass wir sehr leicht – wenigstens teilweise – für die Situation verantwortlich sind, in der jemand uns gegenüber schuldig wurde. Abgesehen von einer nicht provozierten Aggression oder Betrug durch einen Fremden kann man kaum annehmen, dass die Schuld an einem Konflikt ausschließlich beim Anderen lag. Viel wahrscheinlicher ist, dass uns der eigene Anteil bis jetzt noch nicht bewusst wurde. Wir haben guten Grund, darüber nachzudenken! Wer entdeckt hat, dass ein Teil der Schuld auch bei ihm lag, wird viel leichter und ehrlicher vergeben.

Können wir nach diesen Überlegungen wirklich vergeben? – In manchen Fällen scheint es kaum möglich zu sein, denn wir kommen von den Gefühlen der Verletztheit einfach nicht weg. In solchen Fällen sollten wir uns keineswegs auf Willensakrobatik versteifen, als müssten wir jetzt selber das Unmögliche schaffen, um von unserer Schuld loszukommen. Das emotionale Vergeben-Können ist für Menschen keine Selbstverständlichkeit, denn die Heilung einer seelischen Verletzung wird nicht vom Willen herbeigeführt. Letztlich ist sie eher ein Geschenk als eine menschliche Leistung. Wenn wir uns nicht unter Druck setzen, nur vertrauensvoll darum bitten, werden wir sie leichter erreichen. Sie ist freilich nicht mit der hier verlangten Vergebung gleichzusetzen. Was wir unbedingt aufbieten müssen, ist nur der ehrliche Wunsch und die Bereitschaft, aus dieser „Schuldenfalle“ herauszukommen.

Petrus fragte einmal Jesus: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ (Mt 18,21f). Es ist natürlich nicht gemeint, dass Petrus jetzt die Vergebungen zählen soll, sondern gerade, dass er sie nicht zählen soll, wie auch der „Abba“ im Himmel nicht zählt, wie oft Petrus etwas falsch macht! Deshalb darf auch Petrus in keiner Situation mehr sagen: „Jetzt reicht´s mir aber!“

Mit der doppelten Bitte um Vergebung fügen wir uns in eine Gemeinschaft der Schuldigen ein. Diese Gemeinschaft entsteht aus dem Wissen, dass wir in diesem Leben aufeinander angewiesen sind und sehr leicht einander auch schuldig bleiben. Deshalb werden wir nicht mehr gegenseitig Schuld aufrechnen, sondern uns um ein mitfühlendes Herz mühen, und unsere Bitte ausdrücklich mit den Anderen vereint vorbringen: "Vergib uns, wie auch wir vergeben!“

Müssen wir auch uns selber vergeben?
               
Es bedrückt uns nicht nur das, was andere für Sünde halten und uns vorhalten, sondern oft und noch mehr das, was wir uns selber nachtragen und nicht verzeihen können. In der Tat fühlen wir uns auch uns selbst gegenüber „schuldig“, weil wir irgendwo versagt haben, also nicht „gebracht“ haben, was wir stillschweigend von uns erwarteten. Ein solches Schuldgefühl kann bei uns Menschen zu leicht entstehen, denn es ist kaum zu erwarten, dass wir im Leben all das erreichen, was wir heimlich von uns selbst erwarten.

Die Bitte an Gott, „Vergib uns, wie auch wir vergeben!“, heißt in dieser Situation auch: „Nimm uns an, wie auch wir uns annehmen!“ Wenn ich mit den schuldig Gewordenen mitfühlen soll, gehöre ich ja selber zu ihnen! Gottes Vergebung kann mich erst befreien, wenn ich mit mir selber versöhnt bin. Es wird aber nicht eine Sentimentalität für den „armen Sünder“ in mir verlangt, sondern die nüchterne Annahme der Realität: Ich bleibe hinter vielen Erwartungen zurück, weil ich ein Mensch bin. Ich muss mit den eigenen Grenzen und Mängeln Frieden schließen, damit der Friede Gottes mich erreicht. Hier wäre jede Selbstgerechtigkeit fehl am Platz, die mich nicht nur von den anderen, sondern auch von meiner eigenen Seelentiefe isolieren würde! Es mag mir schwer fallen zuzugeben, dass ich fehlbar bin. Aber ich bin dazu aufgerufen und auch berechtigt!

Sich selber vergeben ist das Gegenteil von Selbstgerechtigkeit. Es ist die realistische Anerkennung der Tatsache, dass ich sogar an meinem eigenen Leben schuldig werden kann. Um diesen gesunden Realismus zu erreichen, muss ich zuallererst mein Denken in Ordnung bringen. Das Gebet Jesu schärft mir ein, dass ich mich bei Gott nicht verteidigen muss. Im Gegenteil! Ich bin so beschaffen, dass ich leicht schuldig werde, aber auch Gottes Vergebung erfahre, wenn ich den Anderen und auch mir vergeben habe! Diese Vergebung geschieht ganz konkret so, dass ich in mir das Dunkle wie das Helle anerkenne, aber alles in Verbindung mit dem liebenden Gott sehe. Im Vertrauen zum Vater Jesu bin ich mit meiner Schuld nie allein gelassen.

Neue Perspektive der Konfliktlösung
                               
Mit dieser Bitte des Vaterunsers stellt Jesus einen unglaublichen Anspruch an uns: Gottes Vergebung setzt nicht nur die menschliche Vergebung voraus, sondern verlangt sogar Gewaltfreiheit in allen unseren Konflikten! Es würde nämlich wenig nützen, eine Schuld zu vergeben, solange die Wirkungen dieser Schuld weiterhin wuchern und ihr Unheil verbreiten. Wer dem Anderen vergibt und von ihm ebenfalls Vergebung erwartet, muss deshalb auch die Folgen der zu vergebenden Taten bedenken und darum besorgt sein, dass sie kein weiteres Unheil mehr erzeugen. Gleiches mit Gleichem zu vergelten ist dagegen der sicherste Weg, einen Konflikt nicht zu beenden, sondern zu steigern!  Aus dieser Einsicht heraus verlangt Jesus die gewaltfreie Lösung menschlicher Konflikte:

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ (Mt 5,38-41).

Diese Worte lassen Jesus als einen unverbesserlichen Außenseiter erscheinen. Hat er denn keine Ahnung von menschlicher Psychologie? Und redet nicht auch die Bibel sehr oft von einem gewalttätigen Gott? - Aus diesem Grund hat auch die kirchliche Auslegung in den zitierten Worten der Bergpredigt gerne eine Art Ausnahmeregelung gesehen, die zwar für „Heilige“ gelten mag, aber der gesellschaftlichen Wirklichkeit keineswegs gerecht wird. Es ist kaum vorstellbar, dass z. B. ein Staat funktionieren könnte, wenn er den Bösen keinen Widerstand entgegensetzt. Wie die Geschichte zeigt, konnte sich auch die Christenheit diese Gewaltfreiheit nicht zu Eigen machen.

Trotzdem wäre es zu kurz gegriffen, Jesus hier Unkenntnis der menschlichen Realität zu unterstellen. Es ging ihm in seiner „Bergpredigt“ nicht darum, konkrete Verhaltensregeln für Herrn und Frau Jedermann, oder sogar Erfolgsrezepte für Staaten aufzustellen. Er hat nicht den Kontakt zur Realität verloren, sondern Kontakt zu einer höheren Realität gehabt und darüber gesprochen. Er hat hier versucht zu sagen, was er einmal in seiner Gottesbegegnung erfahren und wonach er seitdem sein Leben ausgerichtet hat. Deshalb ist seine Spiritualität der einzige Zugang zu diesen Worten. Er verkündete von Gott etwas überraschend Neues, das nicht in die Schablonen überlieferter Theologie passte. Sein Bild vom „Vater“ ist keineswegs identisch mit der Gottesvorstellung des Alten Bundes, die gewissermaßen eine Spiegelung irdischer Herrschaftsverhältnisse war. Jesus erlebte bei seiner Taufe nicht den HERRN und gerecht strafenden Richter, dessen Ankunft der Täufer Johannes angesagt hat, sondern einen mütterlichen Vater, der ohne Rücksicht auf Konvention und Schicklichkeit auf seine verlorenen Söhne wartet, ihnen vergibt und von ihnen nicht weniger erwartet als die Nachahmung seiner liebenden Haltung: „Liebt eure Feinde, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet, denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,44f. 4. Wenn wir bedenken, was das Wort „Feind“ bedeutet, liest sich das so: „Wenn ein Mensch euch so übel behandelt, dass in euch nur noch  Empörung und Hass aufsteigen können, gerade dann sollt ihr nicht vergessen, dass Gott ihn annimmt und sogar liebt.“
                   
Was hat ein solcher Gott mit der irdischen Realität zu tun? - Wer den heutigen Zustand der Erde betrachtet, kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass der globale Wettkampf um den Wohlstand auf unserem begrenzten Planeten auf immer größere Katastrophen zusteuert. Die verschiedensten Konflikte der Welt zeigen, wie wenig gewaltsame „Lösungen“ Aussicht auf Erfolg haben. Wenn nicht einmal unsere kleinen Konflikte in Familie, Betrieb oder Nachbarschaft gelöst werden können, indem jeder nur auf seinem Recht besteht, wird die Gewalt niemals die ersehnte Sicherheit der Völker herstellen. Sind wir hoffnungslos in einer Sackgasse?

Wir kennen eine Episode, in der jemand von Jesus die Lösung eines Konfliktes fordert: „Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen. Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht? Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines Vermögens im Überfluss lebt“ (Lk 12,13-15). Damit widersprach Jesus dem Wertekanon unserer Gesellschaft, wo scheinbar alles der Mehrung des Wohlstandes untergeordnet ist.

Aber wo ist dann der „Sinn des Lebens“ zu finden? - Nach Jesus nur in der Verbindung (Einheit=Liebe) mit dem Schöpfer, deren konkrete Seite die Verbindung mit den „Kindern“ dieses Schöpfergottes, mit den anderen Menschen, ist. Wer sich nach diesem Sinn des Lebens ausrichtet, wird den eigenen Vorteil und das eigene Recht nicht mehr als den höchsten Wert erstreben, wird sich also nicht nur gegen andere durchzusetzen und immer mehr haben zu wollen.

Jesus war so stark von der Erfahrung seines „Vaters“ durchdrungen, dass er ihn verkünden musste ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass man mit diesem Gott „keinen Staat machen“ konnte. Kein Wunder, dass die Führung seines Volkes in ihm eine Gefahr für die politische Stabilität sehen und ihn beseitigen musste. Wer wirklich seine Lehre vertritt, wendet sich damit gegen die Wertvorstellungen „dieser Welt“ und muss damit rechnen, im rücksichtslosen Kampf von Interessen zu scheitern und auf irgendeine Weise sein Schicksal zu teilen.

Glauben heißt bei Jesus, die Augen nicht vor den Tatsachen zu verschließen und sich trotzdem auf seinen Gott zu verlassen, auch wenn dies so wenig aussichtsreich erscheint wie Berge zu versetzen. Der mit Jesus Glaubende wird in Richtung auf das scheinbar Unmögliche sein Möglichstes tun und alles andere Gott überlassen. Er wird sich nicht zurückziehen mit der Klage, dass man das böse Schicksal der Menschheit leider nicht wenden kann. Er wird sich – auf Gott vertrauend –  im eigenen Umkreis auf das Abenteuer der Gewaltfreiheit einlassen. Es war die „Utopie Jesu“, dass ein derart unmögliches Verhalten bereits den Keim der „Gottesherrschaft“ in sich trägt – einer besseren Welt, die offensichtlich außerhalb der Reichweite menschlicher Planung liegt.
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