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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Glaube  ›  Hat Gott auch mit dem Bösen zu tun? Moderatoren: Weber
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Hat Gott auch mit dem Bösen zu tun?  Dieses Thema wurde bisher 2.605 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Sardy
23 August 2006, 18:11 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
26 - 50 Beiträge
Beiträge: 30
Vor dem Horizont der Evolution

Die Schöpfung durch Evolution lässt nicht nur Liebe in den Herzen entstehen. Das Erhalten des Lebens geschieht in ständigem Wettbewerb mit allen übrigen Lebewesen, deshalb gehört die Aggressivität in der Tierwelt zu den natürlichen Verhaltensweisen. Auch von den Mitgliedern einer Gruppe von Menschen wurde von Anfang an ständige Bereitschaft zum Kampf, also eine aggressive Haltung verlangt, um ihr Leben zu schützen und ihre Nahrungsgrundlagen zu sichern. Der Lebenskampf hat aber auch innerhalb der Gruppe Wettbewerb und Rivalität verlangt, denn auch der Einzelne musste den Willen haben, etwas besser zu wissen und besser zu können als andere, dann auch sich durchzusetzen, damit natürlich auch zu herrschen. Dies war freilich nur eine Seite der Anforderungen. Innerhalb der Gruppe musste man auch zusammenarbeiten lernen, einander gegenseitig helfen, die Kinder, die Kranken und die Schwächeren schützen und versorgen. Von den einzelnen wurde sowohl Durchsetzungswille wie auch Bereitschaft zur Anpassung und Verzicht auf eigene Wunscherfüllung verlangt. Die notwendige Führung und Unterordnung konnte nicht einfach durch Zwang, sondern vor allem durch das Erleben von Geborgenheit und Liebe erreicht werden.

Die Polarität von Liebe und Aggression war (und ist) sozusagen ein Strukturprinzip des Menschseins. Diese zwei notwendigen, aber gegensätzlichen Haltungen ergänzen einander, stehen aber gleichzeitig in einer ständigen Spannung zueinander und bilden deshalb die Quelle vielfältigen Leids. Zwischen Liebe und Aggression – wie zwischen Selbstbestimmung und Anpassung – auf Dauer das richtige Maß zu finden ist keine einfache Aufgabe. Ihre ideale Lösung war (und ist) im Leben der Einzelnen und der menschlichen Gemeinschaften eher die Ausnahme als die Regel. Der Weg zum Erfolg war (und ist) auch hier – wie auf anderen Gebieten der Evolution – „Versuch und Irrtum“. Nur die wiederholte Erfahrung kann zuverlässig zeigen, was richtig, und eine ganze Reihe leidvoller Erfahrungen –  hoffentlich – was falsch ist. Handlungen und Verhaltensweisen, die der Gemeinschaft oder ihren einzelnen Gliedern Schaden zugefügt haben, mussten deshalb den „Täter“ dieser Gemeinschaft entfremden, und das musste er auf irgendeine Weise zu spüren bekommen. Die Tatsache dieser Entfremdung wurde als „Sünde“ („Sonderung“) aufgefasst, die zunächst also nicht als „Beleidigung Gottes“, sondern als Verrat an Mitmenschen bzw. an einer Gemeinschaft erlebt wurde.

Der Zwang, durch Erfahrung zu lernen, ist eine notwendige Versuchung, die zum Drehbuch einer Schöpfung durch Evolution gehört. Es wäre aber einseitig negativ betrachtet, diesen Zwang als eine „Verführung zur Sünde“ zu beklagen. Er ist viel eher ein Ansporn zur Erkenntnis: durch Versuch und Irrtum soll der Mensch (als vernunftbegabtes Wesen!) erkennen, was im Zusammenhang des größeren Ganzen auch für ihn selbst richtig und gut ist. Das Lernen durch Erfahrung ist also nicht nur Versuchung, sondern zugleich Anreiz zur Bewusstwerdung der eigenen Verantwortung und damit ein Anreiz zur Menschwerdung in bestem Sinne! Die Menschwerdung des Menschen ist ein Lernprozess, der nur allmählich gelingen kann, durch Verinnerlichung auch von schlechten Erfahrungen der Folgen von Egoismus, Verantwortungslosigkeit und Barbarei. Dieses Lernen aus Erfahrung ist natürlich auch eine ständige Quelle von Leid. Und es wird auch niemanden wundern, wenn ein solcher Weg nach außen wie eine endlose Reihe von Rückschlägen und Rückfällen aller Art erscheint und über lange Strecken kaum einen Fortschritt erkennen lässt.

Kurz zusammengefasst: Vor dem Horizont der Evolution können wir das „Böse“ in den Menschen als fehlgeleitete Formen der natürlichen Aggressivität begreifen; als schädliche Handlungen, die nicht mehr durch eine sichere „Programmierung“ tierischer Instinkte gelenkt, aber auch noch nicht durch Einsicht und Verantwortung geleitet sind. Die durch die Evolution erreichte Freiheit der Menschen machte natürlich auch das bewusst gewählte „Böse“ möglich, aber es ist zweifellos nicht selten, dass das Böse durch Menschen, die in ihrer Entwicklung irgendwie geschädigt (also krank) sind, zwangsläufig geschieht. Das Böse gehört deshalb genau so in den natürlichen Zusammenhang des Lebens wie etwa Krankheiten oder Naturkatastrophen.

Wer die aktuelle Berichterstattung der Medien unserer Zeit vor Augen hat, könnte leicht den Eindruck bekommen, dass die Welt der Menschen von Egoismus, Brutalität und Gemeinheit erfüllt ist. Bei der Beurteilung dieser Meldungen sollten wir aber bedenken, dass die Aufmerksamkeit der Menschen – wie auch vieler Tiere – von Natur aus auf solche Reize ausgerichtet ist, die auf eine mögliche Bedrohung hinweisen. Die Faszination, die für uns von allem Bösen, von Skandalen und Katastrophen ausgeht, ist schlicht eine Erbschaft der Evolution. Eine gute Nachricht quittieren wir nur kurz als beruhigenden „Normalzustand“, um dann – um keine böse Überraschung zu erleben –  instinktiv und ganz schnell wieder unsere „Sicherungshaltung“ aufzunehmen und nach möglichen Bedrohungen, also nach schlechten Nachrichten Ausschau zu halten. Die Begebenheiten, die wir gern weiter erzählen bzw. auch gern hören wollen, sind weit davon entfernt, eine objektive Beschreibung der „Welt der Menschen“ zu sein! Wir alle kennen auch großartige Menschen, von denen wir aber selten spontan etwas erzählen. Es geht hier nicht darum, einen beklagenswerten Zustand der Menschheit schönzureden. Die von den Medien erhaltenen Informationen sind durchaus geeignet, uns zu beunruhigen. Aber es kommt auf die Perspektive an: Was sind schon die wenigen Zehntausend Jahre seit der Entstehung des menschlichen Bewusstseins im Vergleich mit den Jahrmillionen der vorausgegangenen Evolution? Die Entwicklung der Menschheit ist – so können wir vermuten und hoffen – noch lange nicht zu Ende; wir sind nach wie vor in einem schmerzhaften Lernprozess und weit davon entfernt, was Menschen noch werden können. Wir sind für unsere Zukunft verantwortlich – ein jeder auf seinem Platz. Es liegt auch an einem jeden, dass dieser Prozess einen guten Verlauf nimmt.

Ein Gottesbild ohne den „Widersacher“

Wenn wir heute von einem Schöpfer reden wollen, müssen wir die konkrete Evolution, wie sie von der Wissenschaft rekonstruiert wird, einschließlich des Bösen, als den Willen dieses Schöpfers ansehen. Auf dieser Grundlage belastet uns das „Böse“ in den Menschen zwar immer noch, aber nicht nur weil wir uns persönlich bedroht fühlen, sondern weil wir auch zutiefst überzeugt sind, dass es eigentlich nicht sein soll. Aber immerhin, das Böse hat dann zweifellos seinen Platz in unserem Weltbild. Es wird erst im Angesicht eines allmächtigen und guten Gottes wirklich unerträglich, dessen Existenz die herkömmliche christliche Glaubenslehre voraussetzt. Für Christen ist die Diskrepanz zwischen einem wissenschaftlich fundierten Weltbild und einem nicht genügend reflektierten „Glauben“ ein Skandal. Die angemessene Antwort auf diesen Skandal ist meines Erachtens weder Atheismus noch Nihilismus, sondern eine längst fällige Revision des „konventionellen“ Gottesbildes, insofern es nicht mehr mit unseren Erkenntnissen zu vereinbaren ist.

Schauen wir jetzt vor diesem Hintergrund nach, ob unser evolutionäres Weltbild auch Korrekturen am Gottesbild Jesu verlangt. Jesus sah in dem EINEN, dessen Namen man aus Ehrfurcht nicht aussprechen durfte, zweifellos den Ursprung des ganzen Kosmos. Wir können dabei sicher sein, dass er die Krankheiten, die menschliche Aggression und überhaupt das Leid in dieser Schöpfung sehr wohl gesehen hat. Trotzdem findet sich in der ganzen Überlieferung keine Spur davon, dass er dies alles mit einem Hinweis auf die unerforschlichen Verfügungen eines Gottes „erklärt“ hätte, der in seiner Allmacht genau so gut auch eine ganz andere Welt hätte erschaffen können.

Wollte Jesus die Übel dieser Welt überhaupt erklären? Für ihre Erklärung haben die Menschen bisher vor allem zwei Möglichkeiten gesehen: die Übel mussten entweder vom Schöpfer dieser Welt, oder von einer anderen, vom Schöpfer verschiedenen Macht kommen. Für unsere christlichen Vorfahren war es selbstverständlich, dass es einen „bösen Feind“ gab, der die gute Schöpfung eines guten Gottes derart verdorben hat. Diese Meinung fanden sie auch in der Bibel vielfach bestätigt. Dachte Jesus auch so? Im Zusammenhang mit seinen Krankenheilungen können wir Ausdrücke lesen, die dies nahe legen. Von einer kranken Frau sagte er z. B., dass  „der Satan sie schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt“; und bei der Heilung eines epileptischen Jungen lesen wir: „Jesus aber drohte dem unreinen Geist und heilte den Jungen“ (Lk 13,16; 9,42). Zum richtigen Verständnis solcher Sätze müssen wir beachten, dass die Menschen sich damals alle möglichen Naturkräfte personalisiert vorgestellt hatten. Hinter verschiedenen feindlichen (also „bösen“) Aspekten der Welt, wie den körperlichen und psychischen Krankheiten, sahen sie böse Geister, oder sogar den Teufel (Satan). Jesus war überzeugt, dass es der „Wille des Vaters“ ist, die Menschen von solchen lebensfeindlichen Einflüssen zu befreien (Mt 18,14; Lk 11,20), aber dazu war es keineswegs nötig, eine dem guten Vater gegenüber stehende persönliche Macht des „Bösen“ vorauszusetzen, die für alles Negative verantwortlich wäre.

„Satan“, der missgünstige „Ankläger“ des Gerechten, zählte im Buch Ijob noch zu den Mitgliedern der „Familie Gottes“ (einer der „Gottessöhne“ Ijob 1,6), Jesus aber sah in einer Vision diesen Ankläger „wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10,1. Dieses geschaute Bild enthält nicht die leiseste Andeutung der Vorstellung, dass die Menschen diesen Satan (da auf die Erde gefallen!) jetzt erst recht zu fürchten hätten. Es legt im Gegenteil einzig den Aspekt nahe, dass ein derartiger „Gottessohn“ ganz radikal aus der Nähe des „Vaters“ entfernt wurde! Für mich bedeutet dies konkret, dass aus dem Gottesbild auch die letzte Spur von Missgunst entfallen ist: Die „gute Nachricht“ Jesu bietet keinen Platz für einen Import des persischen Dualismus (Ahriman) in der Gestalt des Satans oder Teufels, der die gute Schöpfung des guten Gottes verdorben hätte.

Jesu Vertrauen zum „Vater“ war so groß, dass es offenbar auch von der erdrückenden Erfahrung der menschlichen Bosheit und des Leids nicht angefochten wurde. Warum? Die Antwort auf diese Frage hat er leider nicht weitergegeben. Wenn ich eine Vermutung aussprechen darf: Er hat den Vater selber erlebt, aber er machte sich kaum Gedanken darüber, dass seine Zuhörer gänzlich andere Erfahrungen hatten. Ihm wurde leider nicht genügend Zeit geschenkt, darüber zu reflektieren, wie er in dieser Lage seine Einsicht und seine Sicherheit den Menschen wirkungsvoll weitergeben könnte. Als Folge dessen werden seine unzähligen Anhänger auch nach der Verbreitung der „guten Nachricht“ bis heute von der Frage gequält, warum es so viel Schlimmes in der Welt gibt, wenn Gott als einziger Schöpfer und liebender Vater doch allmächtig ist.

Aber was bedeutet es überhaupt, von Gott als dem Allmächtigen zu reden? „Allmacht“ bedeutet für uns, dass jemand alles „machen“ kann, was wir nur denken können. Aber woher wissen wir, dass Absolute ähnlich „denkt“ wie wir, dass also für „Gott“ eine wesentlich andere Welt – eine Welt ohne Leid, ohne Aggression, ohne Unrecht, ohne Katastrophen – genau so möglich erscheint wie uns. Ich glaube nicht, dass er einfach willkürlich in das von ihm selbst bestimmte Naturgeschehen eingreifen könnte, um mich und andere vor Leid oder vor Schaden zu bewahren. Ich halte allerdings an der vielfach gemachten Erfahrung fest, dass er uns retten kann, durch unseren Glauben, und durch menschlichen Einsatz!

Den Befund im Sinne Jesu deuten

Im Folgenden versuche ich das bisher Gesagte in ein zeitgemäßes Weltbild einzupassen. Die moderne Wissenschaft beschreibt uns eine Welt im Werden, wo aus undifferenzierter Energie des Anfangs (Urknall) immer differenziertere Materie, dann aus der unbelebten Materie Leben, aus den einfachsten Lebensformen immer differenziertere Arten, und schließlich aus der Determiniertheit tierischer Instinkte die ersten Anfänge menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung entstehen. Kurz gesagt: Wir sehen einen Kosmos, in dem aus einem Minimum von Vorgaben und Gesetzmäßigkeiten ein unbeschreiblicher Reichtum und schließlich – als Krönung – sozusagen Geist aus der Materie erblüht, um sich weiter zu vervollkommnen. Mit dem Bewusstsein, mit dem „Geist“, tritt in der materiellen Welt etwas wesentlich Neues auf, denn dieser Geist ist imstande, die Welt mit allen ihren Kräften und Gesetzmäßigkeiten abzubilden (=erkennen) und selber gestaltend in den Weltprozess einzugreifen. In diesem Sinn kann man auch die Gene, die materiell chiffrierten Baupläne der Lebewesen, als Ausdrucksformen von Geist begreifen. Die Einsicht drängt sich geradezu auf, dass Geist in der Welt nicht erst mit dem Erscheinen des Menschen auftritt, und dass er nicht nur zum Verstehen, sondern auch zum Entstehen des Alls und seiner Einzelheiten unerlässlich ist.

Im Ganzen gesehen scheint mir die Evolution eine Richtung zu haben, die allerdings unter der methodischen Voraussetzung der Naturwissenschaften nicht in den Blick zu bekommen ist. Es lässt sich auf jeden Fall nicht bezweifeln, dass auf der Erde immer differenziertere Arten entstanden sind bis zum heutigen Menschen. Und es ist nicht zu übersehen, dass in der bisherigen Geschichte des Bewusstseins immer mehr Menschen zu immer mehr Erkenntnis kommen. In diesem Prozess geht es aber nicht nur um Welterkenntnis (Wissenschaft) und Weltbeherrschung (Technik), sondern auch um eine tiefere Erkenntnis von Gut und Böse (Ethik). Die Geschichte des menschlichen Geistes hat unübersehbar eine ethische Ausrichtung angenommen. Es mag zwar stimmen, dass die Menschen seit dem Altertum nicht viel besser geworden sind. Es stimmt aber auch, dass ihr Bewusstsein sich seitdem gewaltig verändert hat und sich immer noch, und sogar immer schneller weiter verändert. In der Antike und im frühen Mittelalter wurde noch jede Unmenschlichkeit fraglos als naturgegeben hingenommen. Noch im Mittelalter gehörten öffentliche Hinrichtungen durch grausame Folter zum Alltag europäischer Städte. Seit der Aufklärung aber beginnt das Bewusstsein für Menschenwürde und Menschenrechte immer mehr auch realen Einfluss auf das Leben auszuüben. Daran ändern auch alle Verbrechen unserer Zeit nichts, ob sie im Namen einzelner Diktaturen oder des so genannten freien Marktes begangen werden, denn auch sie können nicht mehr idealisiert bzw. als naturgegeben hingestellt werden. Die beklagten Missstände bringen vielmehr immer stärker die Notwendigkeit ihrer Überwindung durch verbindliche ethische Normen ins Bewusstsein.

Können wir diese Richtung der Entwicklung im Sinne Jesu deuten? Ich erinnere hier daran, was Gott in der biblischen Schöpfungsgeschichte nach dem Sündenfall sagt: „Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse“. Der Prozess der Bewusstwerdung ethischer Werte ist gleich am Anfang der Bibel als „Gott ähnlich Werden“ beschrieben! Wenn wir etwas über die Ausrichtung der kosmischen Entwicklung vermuten können, ist es eine Entwicklung zu immer mehr Bewusstheit ("Geist"), was die Menschen – nach der Sicht der Bibel – Gott ähnlich macht. Sinn und Ziel des ganzen evolutionären Prozesses wäre demnach ein „Werden wie Gott“ als Entfaltung des Bewusstseins, des „Geistes“, der als schöpferisches Prinzip, als ein Ausdruck des Göttlichen aufgefasst werden kann. Eine solche geheimnisvolle innere Ausrichtung und Zielsetzung der Menschen (und durch sie der ganzen Schöpfung) hat Jesus gesehen und ausgesprochen, – freilich in seiner ganz konkreten Art ohne abstrakte Begriffe – als er sagte: „Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann werdet ihr Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen!“ (Lk 6,27-36).

Wer von der „Verkehrtheit der Welt“ bedrückt mutlos und resigniert fragt, ob das ganze Drama der kosmischen Geschichte mit den kleinen Menschen und ihrem großen Leid überhaupt einen Sinn hat, muss bedenken, dass man einen Sinn niemals wissenschaftlich nachweisen kann. Man kann aber an einen Sinn glauben – und durch diesen Glauben den Sinn auch erleben! Diesen Glauben hat Jesus gelebt, ihn wollte er auch weitergeben. Sein Glaube war kein steriles „für wahr Halten“ von irgendwelchen Behauptungen, sondern mutig vertrauendes Leben! Seine Botschaft möchte ich in diesem Zusammenhang so deuten: der Mensch soll den Sinn seines Lebens weder nur glauben, noch durch seinen Willen selber setzen, sondern er soll ihn direkt erleben, und zwar im Überschreiten der Grenzen seines kleinen Ichs: Er soll den Sinn seines Lebens und Leidens in der Liebe zu Gott und zum „Nächsten“ finden; er soll diesen Sinn sozusagen „erlieben“!

Die von uns skizzierten Züge des evolutionären Weltbildes, die die Entstehung des Leids und der Erfahrung des Bösen beschreiben, sind nach meiner Meinung durchaus geeignet, unsere quälenden Fragen nach dem Leid und dem Bösen in der Welt wenigstens ruhig zu stellen. Man könnte diese Gedanken noch mit folgender Überlegung ergänzen: Wenn es stimmt (was Jesus vorausgesetzt hat), dass der Schöpfer freie Menschen erschaffen wollte, damit sie seine allumfassende Liebe bewusst wahrnehmen, weitergeben und damit erwidern können, – dann musste diese Welt so ähnlich beschaffen sein, wie sie ist. Denn eine solche Liebe ist in einem Schlaraffenland ohne Leid und Not, wo die Menschen – wie lauter wohlgenährte und behütete Babys im warmen Fruchtwasser – ihr Glück nur zu genießen hätten, gar nicht vorstellbar!

Was unsere leidvolle Welt mit dem Wesen eines Schöpfergeistes zu tun hat, werden wir so lange nicht verstehen, wie dieses Wesen uns unzugänglich bleibt. Auch wenn er uns in unserem eigenen „Geist“ wahrscheinlich näher ist, als wir vermuten, „zu verstehen“ ist er nicht. Wir können auch nicht hoffen, ein „besseres“ Gottesbild zu finden, um damit das Theodizeeproblem aus der Welt zu schaffen. Die Lösung ist viel einfacher: wir haben zu verinnerlichen, dass unsere Gottesbilder unserem Leben dienen, nicht aber die Rätsel der Welt lösen sollen. Auch die von uns ausgesprochenen Gedanken reichen selbstverständlich nicht aus, um unsere konkreten Leiden und alle Schrecken dieser Welt „weg zu erklären“. Aber sie können vielleicht den Weg des Vertrauens erleichtern zu einem unbegreiflichen Gott, der die Liebe ist, aber gewiss noch viel mehr als nur Liebe. Von einem solchen Gott hat Jesus gesprochen – und dabei alle scheinbar widersprechenden Beobachtungen einfach stehen gelassen. Seit er Gottes Nähe erfahren hat, war er sicher, dass nicht die Übel der Welt, sondern die Überwindung dieser Übel die „Sache Gottes“ ist! Das hat ihm als „Gottesbild“ zum Leben genügt.

Die Perspektive Jesu war in diesem Punkt von der des Ijob gänzlich verschieden. Er hat nicht nur gottergeben festgestellt: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen“ (Ijob 1,21), als stünde der Mensch den Verfügungen Gottes (wie einem blinden Schicksal) ohnmächtig gegenüber. Stattdessen fragte er: Was verlangt „mein Vater“, der alles Vertrauen verdient, jetzt, von mir, zu tun. Dies aber gerade nicht mit dem übersteigerten Selbstbewusstsein, dass „ich“ nun aufgerufen oder gar verpflichtet wäre, alle Übel der Welt zu beseitigen! Jesus hat nicht nur gesagt, dass „unser Vater“ jedem Leidenden nahe ist, sondern er hat auch fest darauf vertraut, dass dieser Gott mit seiner Liebe ganz gewiss erreichen wird, was unsere Möglichkeit nicht schafft, nämlich alles zum Guten zu führen. Für eine solche „Lösung“ des Problems stand damals das Bild der erwarteten „Gottesherrschaft“, das Jesus nicht geschaffen, aber in seine Verkündigung eingebaut hat. Er war einfach überzeugt, dass Gott das Leid der Menschen nicht wie eine Kleinigkeit übersehen kann, sondern es schließlich und endgültig „vergessen machen“ wird.
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