Comte-Sponville, André: Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott
Kritik: Comte-Sponville, ein französischer Professor der Philosophie (geb. 1952 in Paris), schreibt über seinen Atheismus, und zwar auf äußerst sympathische Weise. Als sympathisch empfinde ich das Buch, weil ich mich als gläubiger Leser an keiner Stelle diskriminiert oder abgewertet fühle. Im Gegenteil: Seite für Seite möchte ich zustimmen, und am Ende habe ich meinen Zweifel, ob der Autor ein wirklicher Atheist ist. Nirgends spricht er überheblich, intolerant oder verächtlich. Er findet gleich zu Beginn (im Vorwort) wertschätzende Worte über seine christliche Erziehung. „Ich wurde christlich erzogen und bin darob weder verbittert noch böse, im Gegenteil. Dieser Religion, also dieser Kirche (in meinem Fall der katholischen) verdanke ich einen Großteil dessen, was ich bin oder zu sein versuche. Meine Moral hat sich seit der Zeit, da ich noch gläubig war, kaum verändert. Mein Empfinden auch nicht. Selbst mein Atheismus ist vom Glauben meiner Kindheit und Jugend geprägt. Warum sollte ich mich dessen schämen?....Der Glaube gehört zur Menschheit, der Unglaube auch, und keins von beiden ist allein ausreichend“ (S. 9f.) Worauf es dem Autor ankommt: zu zeigen, dass auch ein Atheist eine tiefe Spiritualität haben kann. Drei Schritte führen zum Ziel:
1. Kann man auf Religion verzichten? Diese Frage ist nicht allgemein gültig zu beantworten. „Ich kann sehr gut auf Religion verzichten“ (S. 20), sagt Comte-Sponville und beginnt mit der Begründung. Zitate anderer Philosophen – von griechischen bis zeitgenössischen – unterstreichen seine Denkweise oder bringen sein Denken weiter, wie das im philosophischen Diskurs so üblich ist. Erstaunlich, wie sensibel wahrgenommen und respektvoll zur Sprache gebracht wird, welche positiven, tröstlichen, ermutigenden Wirkungen religiöse Vorstellungen für gläubige Menschen haben können. Dass es dann auch eine andere, eine atheistische Sicht der Dinge geben kann, das ist eben die andere Botschaft. Oft wird das Gemeinsame und Unverzichtbare für Gläubige wie Atheisten herausgestellt, so z. B. Kommunion und Bekenntnis (Festhalten an gemeinsamen Werten), ohne die keiner auskommt. Das hat dem Autor schon die Bezeichnung „christlicher Atheist“ eingebracht. „Ob man an Gott glaubt oder nicht, spielt in allen großen moralischen Fragen – außer für Fundamentalisten – keine besondere Rolle. Es ändert nichts an der Pflicht, den Anderen, sein Leben, seine Freiheit und Würde zu respektieren, noch daran, dass Liebe über dem Hass steht, Großzügigkeit über dem Egoismus, Gerechtigkeit über der Ungerechtigkeit“ (S. 60). Und darum ist das Evangelium auch für den Atheisten so wertvoll. Denn die Liebe ist der Kern der Botschaft Jesu. Nur die Hoffnung des Atheisten geht nicht über den Tod hinaus. Was – biblisch gesehen – zwischen Karfreitag und Ostern geschieht, mag er nicht nachzuvollziehen.
2. Gibt es Gott? Wer so fragt, muss sich mit den traditionellen Gottesbeweisen auseinandersetzen, was Comte-Sponville ausführlich macht. Da die Kritik an den Gottesbeweisen so alt ist wie diese selber, steht das Ergebnis bald fest: Mangelnde Beweise – ein Grund, nicht zu glauben. Darüber hinaus wird die Unerfahrbarkeit Gottes zum Argument gegen ihn. „Einer meiner prinzipiellen Gründe, nicht an Gott zu glauben, ist, dass ich keine entsprechenden Erfahrungen habe. Das ist das einfachste Argument. Und eines der stärksten“ (S. 115). Aber auch das wird nicht verschwiegen: „Ich weiß, dass die Gläubigen zumindest seit Jesaja einen verborgenen Gott anrufen, den Deus absconditus. Manche sehen darin eine zusätzliche Qualität, eine Art göttlicher Zurückhaltung, ein übernatürliches Taktgefühl, das um so bewundernswerter ist, als es uns den schönsten, staunenswertesten, strahlendsten Anblick überhaupt vorenthält“ (S. 115f.). Etwas banal finde ich da die Bewertung des Autors, wenn er sagt, dass er aus dem Alter des Versteckspiels heraus sei und das nicht nachvollziehen könne. Zu Recht dagegen kritisiert er die Tatsache, dass Gläubige in der Vergangenheit (und großenteils auch heute noch) Unerklärliches mit Gott erklären. Das sei intellektuell unbefriedigend. Und natürlich ist die Existenz des Bösen in der Welt ein Argument gegen den (für gut geglaubten) Gott, wenn man die Unlösbarkeit des Problems nicht auf sich beruhen lassen will.
3. Welche Spiritualität für Atheisten? Das ist eine prinzipielle Frage, ob es eine Spiritualität ohne Gott geben kann. Comte-Sponville ist davon fest überzeugt. Natürlich ist das auch eine Sache der Definition. „Spiritualität ist so gesehen beinahe gleichbedeutend mit Ethik oder Weisheit und betrifft weniger unsere Beziehung zum Absoluten, zum Unendlichen oder zur Ewigkeit als unsere Beziehung zum Menschlichen, zum Endlichen und zur Zeit. Wenn ich jetzt das Wort Spiritualität im strengen Sinn nehme, muss man weiter gehen oder höher: Ihre höchsten Spitzen reichen in die Mystik hinein“ (S. 166). Es ist eine Spiritualität der Immanenz. Nachdem der Autor diesen Dreh zur Mystik, die nicht mehr ausschließlich religiös besetzt ist, geschafft hat, wird er zum Mystiker reinsten Wassers. Es ist dann eine Freude, die Kapitel über Immansität, des „ozeanischen Gefühls“ und seine eigene mystische Erfahrung zu lesen. Als christlicher Leser fühlt man sich einfach zuhause, wenn man dann die Abschnitte liest: Mysterium und Evidenz, Fülle, Einfachheit, Einheit, Schweigen, Ewigkeit usw. Es ist ein faszinierendes Buch. Und am Ende hatte ich längst vergessen, dass es ein Atheist war, der mich so von der Mystik begeisterte.
Buchdaten: Autor(en): Comte-Sponville, André Titel: Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott Verlag: Diogenes AG, Zürich ISBN Nummer: 978-3-257-06658-6
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