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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Buchempfehlungen    Bücher über Religion  ›  Bürger, Peter: Die fromme Revolte. Moderatoren: Weber
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Bürger, Peter: Die fromme Revolte.  Dieses Thema wurde bisher 2.142 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Weber
03 Dezember 2009, 22:05 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
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Beiträge: 210
Bürger, Peter: Die fromme Revolte. Katholiken brechen auf.

Kritik:

Gleich im Vorwort sagt Peter Bürger, worum es ihm geht: „Das richtige Wort für das, was ansteht, lautet nicht Reform, sondern Revolution“ (S. 9). „Nichts weniger als eine fromme Revolution von unten ist angesagt. Die Anfänge dieser Revolte sind längst da. Dieses Buch soll durch theologische Denkanstöße ermutigen“ (S. 11). Bürger ist Theologe – kein römischer Hoftheologe – und versteht vortrefflich, theologisch zu argumentieren. Er ist seit 1980 bei der deutschen Sektion von PAX CHRISTI tätig und wurde 2006 für seine Studien über „Krieg und Massenkultur“ mit dem Bertha-von-Suttner-Preis ausgezeichnet. Folglich ist die von ihm geschürte Revolution eher eine sanfte, weil gewaltfreie. Das Buch ist für kritische ChristInnen eine Freude zu lesen. Persönliche Erlebnisse und autobiographische Einschübe geben Einblicke in die Persönlichkeit des Autors und machen die Lektüre des Buches besonders angenehm.

In zehn Kapiteln schreibt Bürger über Kirche und Gesellschaft im Lichte der christlichen Botschaft, und zwar mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen und gediegener Geschichtskenntnis. Im ersten Kapitel geht es um den Götzen „Macht“. „Ein Christentum, das die Herrschaft von Menschen über Menschen nicht mehr als Skandal betrachtet, hat mit Jesus Christus nichts zu tun. (…) Mitnichten geht es in einer dem Evangelium zugehörenden Kirchenreformbewegung darum, kirchliche Machtausübung zu kontrollieren oder selbst (…) Teilhabe an der Macht zu erlangen. Kirchenreform beginnt vielmehr damit, Macht als Götzen zu entlarven“ (S. 13). Wer Macht ausübt, ist nicht mehr er / sie selbst, muss jede Verletzlichkeit verbergen und verbreitet über die Beherrschten Angst. So kann man niemals den liebenden Gott verkündigen. Daher gilt: „In der Kirche der Zukunft werden alle wieder Brüder und Schwestern sein – nicht nur theoretisch. In ihr wird man alle Liebenden Theologinnen und Theologen nennen, ganz gleich, ob sie als Straßenkehrer, Musiker, Priester oder Caritas-Mitarbeiter Wunden heilen“ (S. 22).

Das zweite Kapitel (überschrieben: Ultra Montes) handelt vom Drama der römischen Kirche in der Neuzeit. Bürger erinnert an die Anfrage Küngs „Unfehlbar?“, die ihm 1979 den Entzug der Lehrerlaubnis einbrachte, dann an Haslers Dissertation „Pius IX (1846-1878), päpstliche Unfehlbarkeit und 1. Vatikanisches Konzil“, die in ganz unseriöser Weise von den vatikanischen Hoftheologen desavouiert wurde. Nur der Tod Haslers ein Jahr später bewahrte ihn vor weiteren Maßnahmen. Damit aber war der Ausstieg der Kirche aus der Geschichte fehlbarer Menschen ein für allemal besiegelt. Ab sofort weiß nur noch einer, der Papst, was zu glauben ist, die vielen Glaubenserfahrungen der anderen spielen keine Rolle mehr. Die Kirche ist zu einem geschlossenen System geworden, das nur noch um den Selbsterhalt kämpft.

Drittes Kapitel: „Unheilbar katholisch“. Dieses Kapitel über den sog. Milieukatholizismus ist für mich das schönste und authentischste Kapitel des Buchautors, weil es Einblicke gibt in dessen eigene Jugend und Reifung und in das Milieu, von dem er selbst ein Teil war. Ich habe dieses Kapitel mehrmals gelesen, weil es Situationen beschreibt, die den meinen ähnlich waren, an Orten, die nicht weit von meinem Geburtsort liegen.

Das vierte Kapitel handelt vom II. Vatikanischen Konzil: dem Reformkonzil. Am Anfang steht ein wirklicher Christ: Papst Johannes XXIII. Was wollte der eigentlich? Aufbruch oder Kontinuität? Das Konzil ist gezeichnet vom Ringen zwischen beiden Richtungen. Im Nachhinein muss man leider feststellen, dass aus dem Aufbruch nichts (oder nur wenig) geworden ist, die Interpretation des Konzils im Sinne der Kontinuität ohne Brüche hat sich durchgesetzt; denn die Nachfolgepäpste bis Benedikt XVI. waren und sind gegen einen wirklichen Aufbruch. Seit 2005 ist sogar ein Fahrplan zu erkennen, dass die ultrakonservativen Gegner des Konzils wieder ins Boot zurückgeholt werden sollen. Bürger versteht es meisterhaft, die Zeichen der Zeit zu erkennen, zu benennen und sie in einen plausiblen Zusammenhang zu setzen.

Credo – so heißt das fünfte Kapitel. Man kann Glauben verstehen als Vertrauen auf Gottes unendliche Liebe, dann sind die exakten Glaubensinhalte weniger wichtig; oder man betrachtet Glauben als eine Litanei von dezidierten Glaubenswahrheiten, die aufzusagen von Bedeutung sein soll. Das römische Glaubensverständnis geht in die zweite Richtung. So ist Glauben kontrollierbar, erzwingbar und fordert die Gewalttätigkeit geradezu heraus wie z. B. in der Inquisition. „Wir wollen das, was sich gegenwärtig in der römischen Kirche abspielt, einmal ganz offen beim Namen nennen: Eine Klasse von Theologen, die ihre Existenzangst (…) hinter einer erfahrungslosen Kopftheologie versteckt und durch die Existenzweise der Machtausübung zu beruhigen versucht, hat das Regiment an sich gerissen. Da für diese Theologenriege Offenbarung nur in Form von Proklamationen eines übernatürlichen Lehrsystems zugänglich ist, will sie auch alle anderen Menschen von jener Offenbarung abhalten, die sich in unserem Leben unmittelbar und ganz leibhaftig ereignen kann“ (S. 145f.).

Priestermacht und Abendmahl – so ist das sechste Kapitel überschrieben. Damit sind die ewigen Streitpunkte benannt, die die römische Kirche gegen die Ökumene geltend macht. Bürger meint sogar, Rom wolle die Ökumene bis zum Weltuntergang vertagen. In dieser Frage kann der Autor seine Ungeduld und Verärgerung nicht verbergen. „Der Antiökumenismus derjenigen, die das Reformkonzil rückgängig machen und die protestantischen Kirchen nicht einmal mehr als Kirchen anerkennen wollen, hat überhaupt nichts Konservatives an sich. Im Gegenteil. Er überfährt rücksichtslos den gewachsenen Liebesweg, den römisch-katholische und evangelische Christen seit einem halben Jahrhundert und länger miteinander gehen. Eine solche Missachtung der leibhaftigen Kirchengeschichte und des in ihr wirkenden Heiligen Geistes kann nur als postmoderne Überheblichkeit gewertet werden. Verräterisch an der antiökumenischen Kopftheologie ist, dass letztlich die Interpretation eines einzelnen Wortes aus dem Ökumenismus-Dekret des II. Vaticanums ausschlaggebend sein soll“ (S. 150). Gemeint ist das lat. subsistit, d. h.: die eine, heilige Kirche ist verwirklicht in der von Papst und Bischöfen geleiteten Kirche. Das Konzil wollte das nicht ausschließlich auf die katholische Kirche beziehen wie heute Papst Benedikt, sondern Kirchen auch außerhalb der römisch-katholischen anerkennen. Damit zensiert Benedikt das Konzil. Schließlich hat er die Deutungshoheit. – Ist es Hoffnung wider alle Hoffnung, wenn Bürger am Ende des Kapitels meint? „Gegen den Glaubenssinn, den der Heilige Geist in so vielen Herzen eingibt, kann Rom sich auf den Kopf stellen und doch nichts ausrichten. Der gemeinsame Tisch ist längst gedeckt. Auf die Denunzianten wird in naher Zukunft so viel Arbeit zukommen, dass sie ihrer ehrlosen Aufgabe nicht mehr gewachsen sind“ (S. 157).

In den letzten vier Kapiteln (7. Pro multis; 8. Pacem in terris; 9.Populorum progressio; 10. Lumen gentium) geht es um die Herausforderungen einer Kirchenbewegung  für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Eine Kirche, die sich von der Welt abschottet und von anderen Christen, vertut die Chance, Salz der Erde und Licht auf dem Berg zu sein. Johannes XXIII und Paul VI. haben in ihren Enzykliken Pacem in terris und Populorum progressio Wege gewiesen, was Kirche in der Welt sein könnte und sein sollte. Bürger, der seit 1980 mit der Friedensbewegung verbunden ist, resigniert nicht. Im Gegenteil: für ihn gibt es viele Anzeichen, dass die Kirche Zukunft hat, wenn sich die sog. Laien aus ihrer Bevormundung durch die klerikale Führungsschicht befreien und selber Initiativen ergreifen. – Das Buch ist spannend bis zur letzten Seite und sollte bei kritischen Christen die verdiente Beachtung finden.

Buchdaten:

Autor(en): Bürger, Peter
Titel: Die fromme Revolte. Katholiken brechen auf.
Verlag: Publik Forum Verlagsgesellschaft mbH, Oberursel
ISBN Nr. 978-3-88095-191-4
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