Posener, Alan: Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft
Kritik:
„Europa soll nach dem Willen Benedikts wieder zu einem christlichen Kontinent werden“ (S. 9), sagt der Buchautor Alan Posener im Vorwort. Das ist etwas, das alle Europäer angeht, und nicht nur die Katholiken. Eine Art augustinischen Gottesstaat schwebt dem Papst wohl vor, in dem die Errungenschaften der modernen Gesellschaft keine große Rolle mehr spielen. Und dagegen zieht Posener zu Felde. Er sagt: „Dieses Buch ist erklärterweise eine Streitschrift. (…) Ja, ich klag Benedikt an. Ich halte Benedikts Denken für irregeleitet, gefährlich und in letzter Instanz für menschenverachtend, und das versuche ich zu begründen“ (S. 14).
Für Benedikt ist bereits die Aufklärung, also der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, ein großes Übel. Relativismus nennt er die so gewonnenen Freiheiten, die sein geschlossenes christliches Weltbild stören. Demokratische Spielregeln bezeichnet er als Diktat des Relativismus. Akribisch zitiert Posener aus Ratzinger / Benedikt – Ansprachen und – Texten, wo immer wieder dieses „Grundübel“ des Relativismus angeprangert wird. Benedikt traut den Menschen nicht zu, dass sie in demokratischen Prozessen zu einer fundierten Moral finden. Oder waren die Zeiten besser, als die Kirche noch die öffentliche Moral bestimmte und selber entschied, welcher Krieg zur Erhaltung oder Ausbreitung des Glaubens zu führen sei, welche naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht verbreitet werden durften, weil sie dem biblischen Weltbild nicht entsprachen, oder welche Ketzer aufgehängt und welche Frauen als Hexen verbrannt werden mussten? Weil Benedikt die Errungenschaften der Aufklärung und des modernen Freiheitsverständnisses ablehnt und oft gegen die Menschenrechte argumentiert, führt Posener zu Recht diesen Streit. Der Leser erfährt in dieser komprimierten Darstellung manches, was er so noch nicht gesehen und erkannt hat. Die Lektüre ist jedenfalls spannend.
Nicht minder spannend ist das Kapitel über Benedikts Auffassung von Vernunft. Der ewige Pessimist traut der menschlichen Vernunft nicht, sie bedürfe der Führung durch den Kirchenmann; oder anders ausgedrückt: die Vernunft bedarf des Glaubens. Damit wird eine längst überwunden geglaubte Bevormundung der Wissenschaften, der Kultur, der Menschen etc wieder eingesetzt. Rolle rückwärts nennt man das.
Eine weitere Frage, die auf dem Prüfstand steht: Wie geht Benedikt mit dem Holocaust um? Posener analysiert die Rede Benedikts vom 29. Mai 2006 in Auschwitz. Ergebnis: ein einziges Desaster – nicht aus Unbeholfenheit, sondern aus Unsensibilität. Ein Schuldbekenntnis kommt ihm nicht über die Lippen. Schuld war Hitler und die Umstände eben. Ich gebe zu: eine Analyse wie hier ist aus der Tagespresse nicht zu erfahren. Posener kommt zum Ergebnis: Es wäre besser gewesen, nicht nach Auschwitz zu kommen… Er nennt viele Gründe.
Im vierten Kapitel geht es um Ratzingers / Benedikts Verhältnis zu den Juden generell. Posener erinnert an die Oberammergauer Festspiele, deren Charakter in der Nazizeit ausgesprochen antisemitisch war. Erst 1980 wurden auf dem Hintergrund des Konzilsdokumentes Nostra Aetate und nach Intervention jüdischer Organisationen Text und Aufführungspraxis geändert. Kardinal Ratzinger, der am 17. Mai 1980 mit einem Gottesdienst die Festspiele eröffnete, sagte in der Predigt: „Man kann Antisemitismus auch herbeireden; auch das sollte bedacht werden; deshalb möchte ich alle, insbesondere unsere jüdischen Freunde, bitten, mit dem Vorwurf des Antisemitismus aufzuhören“ (S. 104). – Sodann behandelt Posener den Skandal der Wiedereinführung der diskriminierenden Karfreitagsfürbitte „für die Bekehrung der perfiden Juden“ durch die Wiederzulassung der Tridentinischen Messe und Karfreitagsliturgie durch Benedikt. Jüdische Proteste darauf kommentierte der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen Kardinal Walter Kasper etwa so: die Juden möchten respektieren, dass wir als Christen unserem Glauben gemäß beten, so wie wir selbstverständlich ihre Art zu beten respektieren. In dieser Hinsicht hätten beide Seiten noch zu lernen. – Anschließend geht Posener noch auf die leidige Angelegenheit mit der Priesterbruderschaft ein. Bekanntlich wurden die vier Bischöfe der Lefèbvre-Gruppe von der Exkommunikation freigesprochen, obwohl bekannt war, dass die Piusbrüder stark antisemitisch ausgerichtet sind.
Und so geht es weiter mit dem Besuch Benedikts in Afrika und der im Vorfeld wiederbelebten Kondom-Frage im Zusammenhang mit Aids. Posener nennt das eine Kultur des Todes. Es folgt die wissenschaftsfeindliche Einstellung Benedikts, z. B. in der Schöpfungsfrage. Längst überholte und erledigte Standpunkte werden in einer Rolle rückwärts wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dann schneidet Posener noch ein ganz besonders trauriges Kapitel an: Benedikts Regensburger Rede. Wer hätte es für möglich gehalten, dass ein Papst die islamische Welt so provozieren würde? Die anschließenden Proteste, Klarstellungen, Gespräche, führte dann 1980 zu einer gemeinsamen katholisch-schiitischen Erklärung, die mit großem publizistischen Getöse in die Zeitungen gebracht wurde. In Wirklichkeit ein Reinfall erster Güte, wenn man das Dokument wirklich liest, interpretiert, die beteiligten Personen unter die Lupe nimmt und bewertet. Für Benedikt allerdings positiv: Mit dem Islam lässt sich gemeinsam gegen die Moderne vorgehen.
Das vorliegende Buch ist gewiss eine Streitschrift. Aber man wird ja wohl streiten dürfen – auch in der Kirche! Posener bringt eine Außenansicht der Benedikt-Führung unserer Kirche. Kritische Christinnen und Christen sollten sie zur Kenntnis nehmen. Sie sollten auf ihre Weise dazu beitragen, dass unsere katholische Kirche wieder ein anderes, hoffnungsvolleres Gesicht bekommt.
Buchdaten:
Autor(en): Posener, Alan Titel: Benedikts Kreuzzug. Verlag: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin ISBN Nr. 978-3-550-08793-6
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