In aller Stille - Kritische Fragen nach einer Beerdigung
Meine Schülerin war 16 Jahre alt, als sie mit dem Motorrad verunglückte. Niemand durfte bei ihrer Beerdigung dabei sein. „In aller Stille“ wollten Eltern und nächste Freunde an ihrem Grab stehen. "Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen", "Auf Wunsch des Verstorbenen im engsten Familienkreis", so lese ich in vielen Todesanzeigen meiner Tageszeitung. So war es auch jetzt wieder beim Tod einer mit uns befreundeten Nachbarin
Natürlich respektiere ich das. Dennoch fällt es mir schwer. Im konkreten Fall der Schülerin war es eben auch „meine“ Schülerin, Mit-Schülerin der Klassengemeinschaft, Mitglied der Schul-Gemeinschaft. Sie war „eine von uns“. Mit ihr starb ein Stück von uns. Wir fühlten uns ausgesperrt.
Ich frage mich: Ist Trauer nicht leichter zu tragen und fällt auch Trauerarbeit nicht leichter, wenn sie von einer Gemeinschaft mitgetragen wird? Für mich ist nicht die Urne auf dem Bücherregal das Problem, sondern die Ablehnung, Trauer mitzuteilen. Hilft es wirklich, wenn man die Flucht ergreift vor denen, die mit dabei sein wollen, weil sie aus ihrer Sicht mit dazu gehören?
Menschliche Distanz, so scheint mir, macht Trauer nur vermeintlich leichter. Sie verhindert, so fürchte ich, im Gegenteil ihre Bewältigung. Tod und Trauer werden zur Privatsache erklärt. Sie passen anscheinend nicht in unsere Zeit, die Stärke fordert und Schwäche verurteilt. Während Juden sich regelmäßig zum Gedenken auf dem Friedhof versammeln, Muslime ihre Toten laut beweinen, Sinti und Roma sich am Grab ihrer Angehörigen treffen und dort einen Schnaps trinken oder eine Zigarette rauchen, wird der Tod bei uns privatisiert. Er wird zum Tabu.
Muss man nicht auch „der Trauer eine Heimat geben“?
Ein großes Beerdigungsinstitut bot zu dieser Frage ein Seminar an. In einer Anmerkung dazu las ich: „Wenn uns Trauer überfällt, wissen wir oft nicht, wohin mit ihr. Es fehlt die Großfamilie, die Dorfgemeinschaft, die verständnisvolle Nachbarschaft als Auffangbecken für berechtigte Tränen. Es fehlen Menschen und Gruppen, die mit Betroffenen das Leid teilen können.“
Ich kenne natürlich auch negative Erfahrungen. Bei Beerdigungen wird über Gott und die Welt getratscht, mit dem Handy telefoniert oder darüber spekuliert, wie das Erbe verteilt wird. Aber sind solche Misstöne nicht Ausnahmen?
Auf dem Grab der Schülerin stand damals ein kleines Plakat. „Scheiß Motorrad“ war darauf zu lesen. Darüber habe ich mit meiner Klasse lange diskutiert - und auch darüber, ob und wie man mit solchen Aussagen fertig werden kann. Die verstorbene Nachbarin habe ich drei Tage vor ihrem Tod im Krankenhaus besucht - entgegen dem erklärten Willen ihres Mannes, das nicht mehr zu tun. Ich habe es ihm anschließend mitgeteilt. Er schien es zu respektieren. Ganz wohl fühlte ich mich dennoch nicht.